Rubrik: Medikamente

Amylnitrit

Amylnitrit ist der Name einer chemischen Verbindung. In diesem Artikel wird er übergreifend für eine Gruppe von Nitritverbindungen ähnlicher Wirkung verwendet.

Eine durch Amylnitrit herbeigeführte Methämoglobinämie hilft bei der Behandlung einer Zyanid Intoxikation, da das Methämoglobin dabei zu verträglicherem Cyanomethämoglobin reagiert (heute ist diese Methode aber nicht mehr das Mittel der Wahl; vgl. Cyanide). Ursprünglich war es als Herzmittel zur temporären Erweiterung der Herzkranzgefäße und Senkung des Blutdrucks in den Handel gekommen, heute wird dafür verdünntes Nitroglycerin (Handelsname Nitrolingual) benutzt. Als Medikament wegen seiner kurzen Wirkdauer nicht mehr verwendet, wird es heute eher beim Sex, Partys und Tanzveranstaltungen als psychoaktive Droge missbraucht und unter dem Namen Poppers verkauft.

Eigenschaften

IUPAC Nomenklatur: 3-Methyl-1-butylnitrit (bekanntester Vertreter)

Summenformel: C5H11-O-NO

Halbstruktur: (CH3)2CHCH2CH2-O-N=O

Weitere zu der "Familie" gehörende Substanzen: n-Amylnitrit (1-Pentylnitrit), 1-Butylnitrit, Isobutylnitrit, Isopropylnitrit, Ethylnitrit. Es handelt sich um Ester aliphatischer Alkohole mit Salpetriger Säure. Der bekannteste Vertreter, das 3-Methylbutyl-1-nitrit (Isoamylnitrit; im Alltagsgebrauch oft einfach aber unzutreffend Amylnitrit genannt), ist eine blaßgelbe, leichtbewegliche Flüssigkeit vom Sdp. 98-99 °C, D.: 0,88. Die Verbindung ist unbegrenzt mischbar mit den meisten organischen Lösungsmitteln, aber wenig löslich in Wasser, wird aber (besonders in Gegenwart von Basen oder Säuren) leicht verseift. Sie besitzt einen charakteristischen, süßlich-dumpfen Geruch. Es gibt durchaus sinnvolle Anwendungen der Substanz, so als Nitrosierungsmittel.

Wirkung

Nitrite sind NO-Donatoren. In den Endothelzellen von Blutgefäßen wirkt das Stickstoffmonoxid NO durch Second-Messenger-Mechanismen muskelrelaxierend und somit gefäßerweiternd. Da die venösen Blutgefäße durch bessere enzymatische Ausstattung stärker auf NO-Donatoren reagieren, kommt es im normalen Dosisbereich zunächst zu verstärkter Durchblutung und verbesserter Sauerstoffversorgung. Überdosierung kann zu akutem Blutdruckabfall, im Extremfall zum Schock führen, wenn durch die Gefäßerweiterung im Körper die Blutversorgung des Gehirns nicht mehr gewährleistet werden kann. Unabhängig von umstrittenen Thesen zu Mutagenität, Toxizität und Immunsuppression wurden Nitrite in der Behandlung von Angina pectoris jahrzehntelang verwendet. Die Wirkung von Amylnitrit hält jedoch nur wenige Minuten an, weshalb heute länger wirksame organische Nitrate eingesetzt werden. Der Einsatz von Amylnitrit als Sexdroge stellt unter medizinischer Betrachtung einen Missbrauch dar.

Nebenwirkungen

Schwindel, Benommenheit, Herzrasen, Blutdruckabfall, eingeschränkte Artikulationsfähigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Orientierungslosigkeit, Hautrötung, Hitzewallungen. Es kann zu Steigerungen des Hirndruckes und des Augeninnendruckes kommen. Bei Überdosierung: Ohnmacht, Kreislaufkollaps, Hirnschäden durch Sauerstoffmangel. Es wird weiterhin von gelb eingefärbter visueller Wahrnehmung direkt nach dem Konsum berichtet.

Bei andauerndem Missbrauch kann es zu bleibenden Konzentrationsschwächen sowie zu Verringerung der Gedächtnis- und Reaktionszeit kommen. Als weiteres Risiko bei langem und hohem Konsum werden Herzrhytmusstörungen, Nerven- und Gehirnschäden sowie Leber- und Nierenfunktionsstörungen genannt. In höheren Konzentrationen wirkt freigesetztes Stickstoffmonoxid cytotoxisch (zellschädigend). Dieses Prinzip macht sich der Körper zunutze. So erzeugen z.B. Makrophagen und Granulozyten Stickstoffmonoxid, welches zur Bekämpfung von intrazellulären Bakterien, parasitären Protozoen, Würmern, Pilzen und Tumorzellen. Manche Autoimmunerkrankungen und Immunkomplexkrankheiten gehen mit einer Ansammlung von aktivierten Makrophagen im Gewebe einher, welche erhöhte Konzentrationen von NO freisetzen. Dies führt möglicherweise zur Unterhaltung lokaler chronischer Entzündungszeichen. Welche Rolle NO-Donatoren in diesem Zusammenhang spielen ist noch nicht geklärt. Insbesondere der dauerhafte Missbrauch von NO-Donatoren als Partydroge (Poppers) sollte daher unterlassen werden.

Gegenmaßnahmen bei Überdosierung

Symptomorientierte Notfallbehandlung wegen der Herz-Kreislauf-bezogenen Symptome: Bewegen der Extremitäten, Kopf tief lagern, tief ein- und ausatmen (Ziel: Venenrückfluss fördern). Adrenalin ist nicht das Mittel der Wahl, da es die Schocksymptome (Schwäche, Ruhelosigkeit, Schwitzem, Blässe, Übelkeit und Erbrechen, Inkontinenz) verschärft. Bezüglich einer möglichen Dyspnoe (Atemnot; R06.0) ist das Antidot Methylenblau pro injectione das Mittel der Wahl, da hierdurch der Abbau des Methämoglobins, das die Dyspnoe verursacht, und das durch die Nitrit-Intoxikation entsteht, beschleunigt wird. Bei gleichzeitiger Behandlung von Zyanid Intoxikation ist vor dem Verabreichen des Methylenblau eine iatrogene Methämoglobinämie, die wiederum die gefährliche Zyanid-Verstoffwechselung umgehen soll, zu beachten. Eventuell vorliegendes Patiententestament ist wie immer zu beachten.

Kontraindikation

Kontraindikation sind Vorliegen eines Glaukoms, eines Schädel-Hirn-Traumas oder einer Hirnblutung ersichtlich wegen der (Neben-)Wirkungen des Amylnitrit. Vor dem Gebrauch von Amylnitrit sollte, besonders beim Vorliegen psychiatrischer Symptome oder allgemeiner Erkrankungen, immer das medizinische Fachpersonal des eigenen Vertrauens befragt werden. Der Einsatz als Partydroge ist ein Missbrauch, angesichts des Risikopotentials sollte der Konsum kritisch betrachtet werden.

Sucht

Eine physische Sucht ist nicht bekannt. Die psychische Sucht äußert sich meist in Unlust an Sex ohne Poppers, Verlangen nach Poppers und Dosissteigerungen.

Medizin

Nitrithaltige Medikamente sind grundsätzlich verschreibungspflichtig! Die Verwechslung von Amylnitrit mit Amylnitrat ist zu vermeiden.Wer unter niedrigem Blutdruck, Herzrhythmusstörungen oder Blutarmut leidet, sollte auf keinen Fall Poppers/Amylnitrit verwenden! Umstritten ist weiterhin die Rolle des Wirkstoffes beim Abbau des Immunsystems im Zusammenhang mit AIDS. Bei Kontakt von flüssigen Poppers/Amylnitrit mit Schleimhäuten und Augen sofort mit Wasser spülen und gegebenenfalls einen Arzt aufsuchen.

Referenzen

Eine Reihe von Studien hat bewiesen, dass Poppers immunsuppressiv, mutagen und karzinogen in Tieren and Menschen wirkt. Dieses Ergebnis ist in der medizinischen Forschung etabliert und ist unabhängig von der Kontroverse darüber, ob Poppers ein Kofaktor für AIDS oder Kaposi-Sarkome sein könnte.

"Exposure to inhalant organic nitrites (drugs of abuse commonly known as "poppers") has been reported to enhance tumor growth in mice, but the mechanism is not fully defined. [...] In conclusion, multiple exposures to inhalant nitrite appeared to cause alteration in the expression of a number of genes relating to cancer and angiogenesis, including VEGF. [...] These studies demonstrate that in vivo exposure to inhalant nitrites results in changes in the angiogenesis cascade."
"A series of 14 daily, 45-min exposures of mice to 900-ppm isobutyl nitrite in an inhalation chamber reduced the number of peritoneal exudate macrophages (PEM) by 35% and the number of resident peritoneal macrophages (RPM) by 18%. Although the tumoricidal activity of RPM was not affected by the inhalant, the cytotoxicity of PEM was reduced by 26%. The induction of nitric oxide (NO) and the inducible NO synthase (iNOS) protein in PEM were inhibited by the inhalant to a similar extent. Inhibition of NF-kappaB activation in PEM from mice exposed to the inhalant corresponded to reduced degradation of the NF-kappaB inhibitor, IkappaB alpha. Proteasome-associated, enzymatic activity was compromised in PEM from inhalant-exposed mice, suggesting that inhaled isobutyl nitrite compromised macrophage, tumoricidal activity by inhibiting proteasomal degradation of the NF-kappaB inhibitor, IkappaB alpha."
"A study on mice injected with cancer cells and then exposed to isobutyl nitrite (poppers) revealed that inhalant-treated mice developed tumors more readily and rapidly than control mice. The control mice were also injected with cancer cells, but only breathed air. Related studies found that poppers suppress certain immune functions involved in killing tumor cells. These studies suggest that further research of persons with HIV/AIDS who use poppers is needed to determine if they are at a high risk for developing malignancies."
"To determine if exposure to nitrite inhalants could alter tumor growth, syngeneic PYB6 tumor cells were injected into groups of mice. Exposure of these mice to inhaled isobutyl nitrite increased both the tumor incidence and the tumor growth rate by almost 4-fold. Following only five daily exposures to the inhalant, the induction of specific T cell mediated cytotoxicity was inhibited by 36%. Similar inhalation exposures inhibited the tumoricidal activity of activated macrophages by 86%. The data suggest that exposure to abuser levels of a nitrite inhalant compromised tumor surveillance mechanisms."
"Inhalation exposure to the nitrites produce a nonspecific cytotoxicity, depleting many cells of the immune system. Apparently distinct from this cytotoxicity, inhalation of the nitrites impairs a variety of immune mechanisms, affecting both humoral and cell-mediated immunity. [...] Thus, nitrite inhalants may impair immune resistance to infection and actively promote viral replication and tumor growth."
"In addition, research has found that popper use suppresses natural killer (NK) cell function, which increases vulnerability to infectious agents, produces sustained alterations in the immune system, and may be a Kaposi's sarcoma (KS) cofactor. The combined data implicate that the use of poppers may well pose as a significant risk factor for seroconversion."
"Evidence from studies in mice shows that exposure to isobutyl nitrite suppresses the immune system. This immune suppression allows for bacterial growth in the lungs and livers of infected mice and can inhibit the ability of mediastinal lymph nodes to respond to antigen-specific stimulation. The mechanism for immune suppression may be a reduction in CD4+ and CD8+ T cell populations in the mediastinal lymph nodes following pulmonary infection with Listeria monocytogenes."
"These products have been found to be profoundly immunosuppressive for human lymphocytes in vitro, and their by-products when metabolized into N-nitroso compounds have been known to be highly carcinogenic in many animal species."