Rubrik: Sucht

Drogenabhängigkeit

Unter Drogenabhängigkeit versteht man eine psychische oder körperliche Abhängigkeit von bestimmten Substanzen. Früher bezeichnete man die Abhängigkeit als Sucht, dieser Begriff ist inzwischen überholt.

Die Frage nach den Ursachen der Abhängigkeit ist auch eine Frage nach der Motivation, überhaupt eine Substanz zu sich zu nehmen bzw. eine diesbezügliche Handlung auszuführen, zunächst eingeschränkt auf den Drogenkonsum: Warum werden Drogen genommen? Das moderne Drogenbewusstsein umfasst neben den illegalen Substanzen auch legale Alltagsdrogen (Nikotin, Koffein, Alkohol, Chinin, Capsaicin, Kakao) und zudem das breite Spektrum mehr oder weniger psychoaktiver Medikamente.

Der evolutionäre Diskurs verweist zunehmend auf die Fakten, dass der menschliche Körper selbst eine grosse Zahl solcher Substanzgruppen produziert und offensichtlich bereithält, unser Wohlbefinden, unsere physischen und psychischen Befindlichkeiten maßgeblich zu bestimmen. Diese körpereigenen (endogenen) Stoffe haben oft große Ähnlichkeiten mit jenen Stoffen, die wir uns von außen (exogen) zuführen können.

Zudem ist es nicht immer nur der chemischen Substanz, sondern vor allem auch ihren symbolischen Attributen geschuldet, auf welche Droge die Wahl des Einzelnen fällt. "Manche Drogen besitzen aus den verschiedensten Gründen ein jugendliches, andere ein Außenseiter-Image, und bei wieder anderen bemüht sich die Industrie offenbar nicht völlig erfolglos, ihnen ein Image von Freiheit und Abenteuer zu verleihen." (Leitfaden Drogentherapie,S.41/Campus Verl.1997)

Jugendliche

"Die Motivation, Drogen zu probieren und gelegentlich erneut einzunehmen, orientiert sich an Bezugspersonen, die man versucht zu imitieren oder aus Frustration extrem abzulehnen, um vor allem den gesellschaftlichen Funktionsanforderungen im Wege zu stehen" (Scheerer 1995, S.42f.)

Es wird allgemein angenommen, dass sich die Zugänge zu psychoaktiven Substanzen für Jugendliche erleichtert haben. Autoren wie Franzkowjak, Farke, Hurrelmann und Alt-Teigeler sehen das Experimentieren mit legalen und illegalen Rauschsubstanzen und auch den zeitweiligen Missbrauch von psychoaktiven Substanzen als eine Ausprägung jugendlichen Risikoverhaltens. Diesen Probier- oder Experimentierkonsum zählt man heute zu den Entwicklungsaufgaben der Heranwachsenden und als ein Faktor zur Ausbildung der Risikokompetenz. (vgl. Öbig, S.3 und Laging ?Riskanter Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen?. 2005; S.66)

Psychische und körperliche Abhängigkeit

Grundsätzlich sind für eine psychische Abhängigkeit bestimmte Voraussetzungen notwendig. Der Gebrauch von Drogen aus Fluchtgründen (Schulprobleme, Depressionen, Einsamkeit) oder um einer bestimmten Gruppe anzugehören führt bald in eine psychische Abhängigkeit. Besonders häufig tritt diese im Zusammenhang mit Cannabis, Nikotin und Alkohol auf. Im Falle der letzten beiden kann auch eine körperliche Abhängigkeit folgen. Psychische Abhängigkeit muss vor allem befürchtet werden, wenn das soziale Umfeld (Familie, Freunde, Schule) labil ist. In geordneten Verhältnissen (klare Ziele, guter Freundeskreis) ist die Gefahr wesentlich geringer.

Körperliche Abhängigkeit wird durch Drogen verursacht, welche im Körper bestimmte Rezeptoren belegen und die Ausschüttung von Glückshormonen anregen oder vortäuschen. Die Gefahr besteht hierbei darin, dass die empfangenden Rezeptoren mit der Zeit abstumpfen und ohne die Einnahme der verwendeten Droge kein ausgeglichener Zustand mehr herstellbar ist.

Drogenabhängigkeit (Definition gemäß WHO)

Drogenabhängigkeit wurde 1964 von der Weltgesundheitsorganisation definiert als ?ein Zustand, der sich aus der wiederholten Einnahme einer Droge ergibt, wobei die Einnahme periodisch oder kontinuierlich erfolgen kann. Ihre Charakteristika variieren in Abhängigkeit von der benutzten Droge (...)?. Die Drogenabhängigkeit wurde dann in sieben Kategorien nach sieben Stoffgruppen - respektive deren Suchtpotenzial und psychotropen Wirkungsgrad eingeteilt:

  1. Opiate und Opiode, (z.B. Heroin, Morphin)
  2. Barbiturate und Alkohol,
  3. Kokain,
  4. Cannabis,
  5. Amphetamine,
  6. Khat und
  7. Halluzinogene, (z.B. LSD oder Tryptamine wie Psilocybin und Psilocin).

Diese Kategorisierung löste zahlreiche Irritationen aus. So fragte man sich, warum die in ihrem Gebrauch fast ausschließlich auf den Jemen, den Osten Afrikas und das "Goldene Dreieck" beschränkte Khat-Pflanze (i.e.S. das in der Betelnuss enthaltene Arecolin, eine Frucht der Betelpalme) als eigene Kategorie aufgenommen wurde; warum für die beiden Halluzinogene LSD und Cannabis gleich zwei getrennte Abhängigkeitskategorien eingerichtet wurden; und, nicht zuletzt, warum eigentlich Alltagsdrogen, wie etwa Nikotin oder Koffein, gar nicht erst thematisiert worden waren. Solche und ähnliche Fragen wurden von der WHO allerdings nicht erklärt, so dass zahlreiche Experten auf dem Gebiet der internationalen Drogenpolitik wie Sebastian Scheerer wohl zu recht konstatieren, alle Definitionen der WHO seien stets vom Leitmotiv geprägt gewesen, eine plausible Verbindung der vorherrschenden wissenschaftlichen Ansätze zur terminologischen Erklärung und Begründung der internationalen Suchtstoffabkommen herzustellen, da immer wieder neue Substanzen deren strengen Kontrollen unterworfen wurden. So musste der Suchtbegriff immer weiter und notwendigerweise auch immer vager gefasst werden. Offiziell wurde mit der Definition von 1964 die begriffliche Aufspaltung in psychische und physische Drogenabhängigkeit festgeschrieben und mit ihr ein substanzzentriertes Verständnis des Suchtbegriffs, der aber in seiner Präzisierung so undeutlich war, dass diese Definition wohl als eine strategische gedeutet werden muss, mit der ?endlich der Weg frei war zur Einbeziehung aller irgendwie verdächtigen Stoffe in zukünftige Kontrollabkommen".

Die Motivationen, psychoaktive Substanzen zu konsumieren, lassen sich unter drei Aspekten zusammenfassen:

Veraltete Definition von Sucht und Drogensucht (Definition gemäß WHO)

Im Jahre 1952 definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Sucht als einen "Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, die für das Individuum und für die Gesellschaft schädlich ist und hervorgerufen wird durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge", wobei für das Vorliegen einer Sucht das unbezwingbare Verlangen zum fortgesetzten Konsum, Dosissteigerung und psychische und/oder physische Abhängigkeit als charakteristisch galten.

Der Jurist Sebastian Scheerer stellt zu dieser Definition fest, dass sie vor allem unter dem Eindruck einer Besorgtheit über den Opiatkonsum zustande gekommen sei und dementsprechend auf die meisten anderen Substanzen nicht recht passte. ?So wurden Kokain und Cannabis rechtlich als Suchtstoffe behandelt, obwohl sie die Definitionsmerkmale der Sucht gar nicht erfüllten. Auch die barbiturathaltigen Schlafmittel und die stimulierenden Amphetamine schienen in den fünfziger Jahren einerseits dringend einer intensiven Kontrolle zu bedürfen, andererseits aber nach dem damaligen Stand des Wissens keine Sucht zu verursachen.? Die WHO habe daher 1957 zusätzlich den Begriff der Gewöhnung eingeführt, um den aufgetretenen Widersprüchen und Irritationen entgegenzutreten. Doch auch dieser Schachzug sollte nicht alle Ungereimtheiten bei der Begriffswahl beseitigen, so dass man sich bei der WHO 1964 dazu entschloss, auf den Begriff der Sucht gänzlich zu verzichten und statt dessen von Abhängigkeit zu sprechen, und zwar in ihrer Zweigliedrigkeit als psychische oder physische Abhängigkeit.

Die WHO hat Sucht 1957 folgendermaßen definiert: Sucht ist ?ein Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung, hervorgerufen durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge, und ist gekennzeichnet durch vier Kriterien:

Die Begriffe Sucht respektive Drogensucht wurden seit 1964 von der WHO nicht mehr verwendet und durch die Begriffe Abhängigkeit respektive Drogenabhängigkeit ersetzt.

Verhinderung von Drogenabhängigkeit

Drogenabhängigkeit (früher Drogensucht genannt) kann vor allem mittels Abstinenz oder mittels Drogenmündigkeit verhindert werden. Da das Gegenteil von Sucht und exzessivem Konsum zumeist nicht durch Abstinenz gekennzeichnet ist, sondern vornehmlich durch Drogenmündigkeit, ist zur Verhinderung von Drogenabhängigkeit ein Prozess zur Entwicklung von Methoden zur Vermittlung von Drogenkunde, Genussfähigkeit, Risikomanagement und Kritikfähigkeit in Bezug auf den Umgang mit psychoaktiven Substanzen anzustoßen und zu fördern. Im Ergebnis von Drogenmündigkeit entsteht ein integrierter, autonom kontrollierter und genussorientierter Drogenkonsum, der den Konsumenten psychoaktiver (psychotroper) Substanzen die selbstbestimmte und selbstverständliche Teilnahme am allgemeinen gesellschaftlichen Leben ermöglicht.

Seit den 1980er Jahren betrachtet man Sucht/Abhängigkeit als multifaktoriellen Prozess , bei dem biologische, psychische, soziale und gesellschaftliche Faktoren zusammenwirken. Suchterkrankung entwickelt sich in einem multikausalen und interaktiven Prozess. (Laging M. ?Riskanter Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen?; 2005; S.32 )

Alan Leshner hat 1997 als Direktor des amerikanischen National Institute of Drug Abuse (Nida) eine Bilanz der jahrzehntelang betriebenen neurowissenschaftlichen Forschungstätigkeit gezogen : "Sucht ist eine Hirnkrankheit".

In Tierversuchen wurde festgestellt, dass unser Verhalten durch ein hochkomplexes Belohnungssystem gesteuert wird. Dieses beruht auf dem Botenstoff Dopamin, der auch bei Stimulationen wie Sex, Nahrungsaufnahme, romantischer Liebe oder bei Erfolgserlebnissen aller Art eine wichtige Rolle spielt. Es entwickelt sich ein Wiederholungseffekt, das Individuum verspürt die "Lust auf mehr" (unwiderstehliches Verlangen, engl. craving).

Das cAMP-System (cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat) ist verantwortlich für die Toleranzbildung von psychoaktiven Stoffen (Kokain, Alkohol, Nikotin etc.) Doch spielt es ebenfalls für die Entzugssymptomatik eine wichtige Rolle. Außerdem kann ein Protein (DFosB) die Verbindungswege neuronaler Impulse verändern.

Auf den Oberflächen und im Innern der Nervenzellen hinterlassen psychoaktive Substanzen Veränderungen, die sich einerseits auf die Wahrnehmung des nächsten Konsums, wie aber auch auf das Empfinden des Nichtkonsums auswirken. Zudem werden mit der Zeit auch neue Zellverbindungen (Verknüpfungen der Axonen) gebildet, während andere verkümmern. Das heißt, unser Gehirn passt sich dem Konsumverhalten biologisch an. Veranschaulichen lässt sich dieser Vorgang mit dem Lauf eines wilden Flusses. Es bilden sich je nach Wasserstärke und chemischer Zusammensetzung verschiedene Formen in der Landschaft und im Gestein.

Gesundheitliche Gefahren

Grundsätzlich ist die Aufnahme bestimmter Drogen nicht zwingend gefährlich für die Gesundheit, sofern die Menge und die Häufigkeit gering bleiben. Grundsätzlich gilt, dass keine Droge sofort zu einer Anhängigkeit führt oder physische Schäden verursacht. Das Risiko für eine Drogenabhängigkeit liegt bei dem Konsumenten und bei der Substanz. Manche Konsumenten können selbst mit einer Droge vernünftig umgehen, die ein hohes Abhängigkeitspotenzial hat, die Mehrheit jedoch nicht. Bei einer Droge mit geringem Abhängigkeitspotenzial ist es umgekehrt. Die Mehrheit hat ein gesundes Konsummuster bezogen auf die Droge, eine Minderheit missbraucht sie.

Allerdings können psychoaktive Substanzen latente Psychosen zum Ausbruch bringen. In vielen Fällen führt regelmäßiger Drogenkonsum zumindest zu Niedergeschlagenheit und Reizbarkeit. Es besteht durch regelmäßigen und/oder hochdosierten Konsum die Gefahr von körperlichen Schäden. So gilt Nikotin als Krebs erregend, Alkohol schädigt Gehirn und Leber. Im Zusammenhang mit Nikotin und Cannabis ist zu erwähnen, dass die übliche Aufnahme durch Rauchen dem Körper schädigende Kohlenwasserstoffe sowie Schmutzpartikel (Teer) zuführt, die ebenfalls hochgiftig und Krebs erregend sind.

Hilfe bei Drogenabhängigkeit

Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe findet man bei Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen [1]

Schweizer Web-Adresse im Suchtbereich: Drogen - Sucht - Therapie - Hilfe INFOSET [2]

Hilfe zur Selbsthilfe findet man bei Narcotics Anonymous [3]

Quellenangaben

S. Scheerer, I. Vogt (Hg.): Drogen und Drogenpolitik. Ein Handbuch, Frankfurt a.M. und New York 1989, S. 14f;

Vgl.: www.bisdro.uni-bremen.de/quensel/Internet%20Reader/kiffen.pdf

WHO EXPERT COMMITTEE ON ADDICTION-PRODUCING DRUGS (1964): WHO Technical Series. 14. Report, Genf

EXPERT COMMITTEE ON ADDICTION-PRODUCING DRUGS (1964): . 14. Report, Genf

Quellenangaben veraltete Suchtdefinition